Die meisten Angestellten müssen Überstunden im Arbeitsalltag leisten – sei es, weil ein Kollege krank geworden ist, weil saisonbedingt besonders viel los ist oder weil ein Projekt dringend fertig werden muss. Doch hat man dadurch automatisch Anspruch auf Auszahlung oder kann man Überstunden verweigern?
Als Überstunden werden laut Definition Arbeitsstunden bezeichnet, die über die individuell vertraglich geregelten Arbeitszeiten hinausgehen. Überstunden sind in Deutschland an der Tagesordnung. Deutsche Arbeitnehmer schenken ihren Arbeitgebern sogar weitaus mehr Arbeit ohne Gegenleistung als Angestellte anderer europäischer Länder. Das ergab eine Befragung des globalen Personaldienstleisters ADP. Rund 10.000 Arbeitnehmer wurden zu ihrem Arbeitsalltag befragt, u. a. bezüglich unbezahlter Überstunden. Rund 71 Prozent der Befragten gaben dabei an, regelmäßig unbezahlte Überstunden zu leisten. Eigenen Angaben zufolge machten Arbeitnehmer deutschlandweit durchschnittlich 5,24 Überstunden pro Woche. Die meisten Überstunden machten Arbeitnehmer aus Thüringen. Sie gaben an, Mehrarbeit im Umfang von 6,62 Stunden pro Woche zu leisten. Doch keine Sorge: Insgesamt ist die Anzahl der Überstunden in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren drastisch zurückgegangen. Das zeigen die Statistiken des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Machten Arbeitnehmer 2018 rund 26,5 bezahlte Überstunden, waren es 1992 noch 48,4 bezahlte Überstunden.
Warum machen Arbeitnehmer heute weniger Überstunden als früher?
Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Ein Grund ist, dass heutzutage immer mehr Leute in Teilzeit tätig sind. Leisten diese Mehrarbeit, so sammeln sie dabei normalerweise weniger Stunden an als Angestellte in Vollzeit. Auch Arbeitszeitkonten und andere Instrumente der Arbeitszeiterfassung kommen heute sehr viel häufiger zum Einsatz und tragen dazu bei, dass sich Überstunden im Arbeitsalltag nicht allzu sehr ansammeln. Sie sind immerhin für besondere Spitzen im Arbeitsalltag vorgesehen. Denn zu Mehrarbeit gibt es gesetzliche Bestimmungen, die Arbeitnehmer schützen sollen.
Arbeitszeithöchstgrenze muss gewahrt werden
Letztlich ist es nämlich auch nicht im Sinne des Arbeitgebers, dass Angestellte möglichst viel arbeiten. Schließlich haben auch Arbeitgeber ein begründetes Interesse daran, dass sich bei ihren Angestellten nicht zu viele Überstunden ansammeln. Zum einen sind Arbeitgeber an das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gebunden. Durch das Arbeitszeitgesetz ist die Arbeitszeithöchstgrenze gesetzlich festgelegt. Demnach dürfen Angestellte pro Tag nur maximal zehn Stunden arbeiten, pro Woche jedoch nicht mehr als 48 Stunden. Diese Grenze darf nur überschritten werden, wenn es beispielsweise saisonal bedingt notwendig ist wie im Falle einer Ernte. Grundsätzlich hat der Arbeitgeber so das Recht, die Arbeitszeit auf bis zu zehn Stunden pro Tag und insgesamt 60 Stunden pro Woche auszudehnen, solange sich die Anzahl der Überstunden dennoch im rechtlichen Rahmen bewegt. Es macht sich jedoch auch für Arbeitgeber bezahlt, Mitarbeiter vor Überlastung zu schützen. Das erkennen inzwischen immer mehr Arbeitgeber und räumen ihren Angestellten mehr Freiheiten und Freiräume ein, um den Druck bei der Arbeit zu reduzieren. Dazu gehören flexible Arbeitszeiten ebenso wie die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten. Aber auch Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche werden immer lauter, weil freie Zeit die Effektivität und Motivation von Angestellten steigern kann. Der Trend geht also eher hin zu weniger Arbeitsstunden!
Darf der Chef Überstunden anordnen?
Der Arbeitgeber darf Überstunden dann anordnen, wenn sie für das Unternehmen notwendig und für den Angestellten zumutbar sind. Ob dies der Fall ist, lässt sich etwa daran gut erkennen, ob auch Ruhephasen zwischen den Arbeitseinsätzen berücksichtigt werden. So muss etwa eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden gewährleistet sein. Ob Überstunden dann jedoch finanziell oder in Form eines Freizeitausgleichs abgegolten werden, ist Verhandlungssache und normalerweise vertraglich geregelt. In vielen Betrieben werden Überstunden mit Freizeit vergolten. Ist dies jedoch nicht der Fall, so gilt der vertraglich geregelte Stundenlohn. Sollte nur eine Monatspauschale festgelegt worden sein, wird diese umgerechnet auf einen Stundenlohn.
Vergütung von Überstunden im Arbeitsalltag
Ob Mehrarbeit finanziell vergütet oder mit Freizeit ausgeglichen wird, ist unterschiedlich geregelt und üblicherweise Verhandlungssache. Auch kann es vorkommen – gerade in Führungspositionen – dass Überstunden bis zu einem bestimmten Umfang bereits mit dem monatlichen Gehalt abgedeckt werden. Derlei Klauseln finden sich oftmals im Arbeitsvertrag wieder und sind zulässig. Wichtig ist hier, dass die vertragliche Vereinbarung sich auf eine spezifische Anzahl an Überstunden stützt, denn nur dann ist der Passus auch gültig. Pauschal abgegolten werden können Überstunden auf diesem Wege nämlich nicht. Einzige Ausnahme: Pauschal dürfen Arbeitgeber nur Überstunden bei Besserverdienern, etwa in Führungspositionen, abgelten. Verdienen muss man dafür aber im Westen mehr als 7.100 Euro Brutto und im Osten 6.700 Euro Brutto. Die meisten Arbeitgeber bieten für geleistete Mehrarbeit jedoch einen sogenannten Freizeitausgleich. Diese Regelung ist aber für viele alles andere als eindeutig. Und auch bei großen Behörden kann dies auf Verwirrung stoßen. So hat die Stadt Köln unlängst für Aufsehen gesorgt, weil sich mehr als 1000 Fälle von Überstunden in der Stadtverwaltung angesammelt hatten. Diese zahlte die Stadt aus Versehen aus statt sie in Freizeit auszugleichen.
Was tun, wenn der Arbeitgeber sich weigert?
Es ist möglich, dass nicht jeder Arbeitgeber sich an die Regeln halten möchte. Damit das nicht passieren kann, hat der Europäische Gerichtshof mit dem Urteil (C‑55/18) vom 14. Mai 2019 entschieden, dass Mitgliedstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit der Mitarbeitenden dokumentiert wird. Ferner sind die Mitgliedstaaten dazu angehalten, dafür Sorge zu tragen, dass die Mitarbeitenden die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit einhalten. Dadurch, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Angestellten zu dokumentieren, schafft man zugleich auch mehr Verbindlichkeit, sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten.
Verfallen meine Überstunden irgendwann?
Auch Überstunden können verfallen. Das passiert jedoch erst nach der üblichen Frist von drei Jahren, die jeweils am Ende des Jahres der Mehrarbeit beginnt. Doch aufgepasst: Oft gibt es in Arbeitsverträgen dafür sogenannte Verfallklauseln, die einen Ausgleich der Ansprüche innerhalb einer bestimmten Zeitspanne fordern. Dazu gehört auch die Entlohnung von geleisteter Mehrarbeit. Die Forderung darf jedoch einen Zeitraum von drei Monaten nicht unterschreiten. Überstunden verfallen folglich dann, wenn sie nicht innerhalb der im Vertrag festgesetzten Frist ausgeglichen werden.
Was passiert mit meinen Überstunden nach einer Kündigung?
Damit Sie Forderungen an Ihren Arbeitgeber stellen können , ist es wichtig, dass Sie Ihre Überstunden dokumentarisch festhalten. Ist dies nicht der Fall, wird es schwierig, Ihre Forderungen durchzusetzen. Üblicherweise werden Überstunden dann mit Ihrem normalen Stundenlohn vergütet – oder aber in Form von Freizeit, abhängig von der individuellen Überstundenregelung im Arbeitsvertrag. Falls Sie zu einer Lösung mit Ihrem Arbeitgeber finden müssen, beachten Sie Folgendes: Bei einer Kündigung oder bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages des Arbeitsverhältnisses gibt es oftmals auch eine sogenannte Ausgleichsquittung. Damit werden alle Ansprüche, die aus dem Arbeitsverhältnis entstanden sind, abgegolten, wozu auch die Überstunden gehören.
Zuschlag bei geleisteter Mehrarbeit
Einen gesetzlichen Anspruch auf einen Überstundenzuschlag sieht der Gesetzgeber nicht vor. So entschied das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil (Aktenzeichen: Az. 5 AZR 362/16). Nur in bestimmten Fällen erfolgt ein solcher Zuschlag, etwa wenn dies vertraglich vereinbart ist oder man nach Tarif vergütet wird. Das bedeutet, dass üblicherweise nicht davon ausgegangen werden sollte – es sei denn, Ihr Arbeitsvertrag sieht dies so vor.
Wie sieht es mit Überstunden während der Ausbildung oder eines Praktikums aus?
Normalerweise sind während einer Ausbildung keine Überstunden vorgesehen. Allerdings können auch hier Ausnahmeregelungen greifen, etwa wenn ein vermeintlicher Notfall vorliegt. Allerdings muss dem oder der Auszubildenden dann innerhalb der nächsten drei Wochen Freizeit gewährt werden, um die Überstunden auszugleichen. Eine besondere Regelung greift vor allem dann, wenn Lehrlinge noch nicht volljährig sind. Denn minderjährige Auszubildende dürfen täglich nicht länger als acht Stunden arbeiten. In Ausnahmefällen ist diese Grenze zwar hinfällig, die Obergrenze liegt jedoch bei achteinhalb Stunden. Darüber hinaus muss ein Freizeitausgleich hier bereits innerhalb der gleichen Woche erfolgen. Auch während eines Praktikums sollten in aller Regel keine Überstunden anfallen. Dennoch sollte man gerade aufgrund der Kürze der Beschäftigung nicht gleich die Konfrontation suchen, wenn dies nicht Überhand nimmt. Schließlich machen Sie das Praktikum, um etwas zu lernen und Einblicke in den Arbeitsalltag zu erhalten! Je nach Berufsfeld können Überstunden leider mit dazu gehören.
Die Arbeitskultur spielt eine Rolle
Denn ob vermehrt Überstunden anfallen oder nicht, hängt auch mit verschiedenen anderen Faktoren zusammen. Generell ist es in vielen Firmen gern gesehen, wenn man länger arbeitet. Es gibt sogar Redewendungen, um zu beschreiben, dass jemand pünktlich den Arbeitsplatz verlässt. Dann ist oft von „den Stift fallen lassen“ die Rede. Es scheint also auch vielerorts zur Arbeitskultur zu gehören, mehr oder sogar zu viel zu arbeiten.
In diesen Branchen fallen besonders viele Überstunden im Arbeitsalltag an
Das gilt für manche Branchen mehr als für andere. Denn Überstunden sind sehr ungleich verteilt. Während in der Steuer- und Wirtschaftsprüfung pro Woche nur etwa 1,9 zusätzliche Arbeitsstunden anfallen, machen Mitarbeiter in der Unternehmensberatung stolze 5,2 Überstunden pro Woche. Das klingt zunächst nicht nach viel, aufs Jahr hochgerechnet ergibt sich jedoch ein Unterschied von rund 170 Stunden oder fast 22 regulären Arbeitstagen. Augen auf also bei der Berufswahl!
Überstunden im Arbeitsalltag abhängig von Karrierestufe
Auch die Karrierestufe hat einen Einfluss darauf, wie viel Mehrarbeit man leisten muss. Fachkräfte kommen wöchentlich auf durchschnittlich 2,7 Überstunden, Führungskräfte auf 7,8 Stunden. Dies mag insofern nicht weiter wundern, weil mit einem höheren Karrieregrad auch mehr Verantwortung einhergeht. Dadurch wird es schwieriger, pünktlich Feierabend zu machen und Aufgaben gegebenenfalls unbearbeitet liegen zu lassen.
Auch das Geschlecht spielt eine Rolle
Auch zwischen den Geschlechtern bestehen Unterschiede. Während Männer durchschnittlich auf 3,7 Überstunden pro Woche kommen, beläuft sich diese Zahl bei Frauen nur auf 2,2 Überstunden. Interessant ist jedoch, dass bei 46 Prozent der Männer die Überstunden finanziell vergütet werden, während dies nur bei 41 Prozent der Frauen der Fall ist. Anzumerken ist hier insgesamt jedoch, dass Frauen auch öfter in Teilzeit beschäftigt sind als Männer, was die geringere Überstundenanzahl zumindest teilweise erklären könnte.
Überstunden im Arbeitsalltag abhängig vom Alter
Wie viel Mehrarbeit Angestellte leisten, ist auch abhängig vom Alter. Je älter Angestellte werden, desto mehr Überstunden leisten sie auch. Das mag aber nicht zuletzt auch mit ihrem Karrieregrad zusammenhängen und folglich mit dem Maß an Verantwortung.
Fazit
Überstunden scheinen in Deutschland nach wie vor dazuzugehören. Umso wichtiger ist es, Bescheid zu wissen, was das für Angestellte bedeutet. Angestellte sollten nun aber nicht zwanghaft pünktlich die Arbeitsstätte verlassen. Stattdessen sollte man sich bewusst machen, dass Überstunden notwendig sein können, aber nicht zur Regel werden sollten. Sollte dies der Fall sein, so kann es helfen, das Gespräch mit dem Chef zu suchen. Ansonsten gilt: Machen Sie doch einfach mal pünktlich Schluss! Hier zeigen wir Ihnen, wie Sie Ihre Produktivität steigern können, um endlich pünktlich mit der Arbeit fertig zu sein!