Im Internet findet man andauernd Tipps dazu wie man möglichst schnell lernen kann. Mithilfe dieser Tipps, so heißt es dann, werde man fünf neue Sprachen in einem Monat lernen. Das vermittelt den Eindruck, dass Lernen gar keine Mühe bereitet, obwohl unser Gehirn hier Höchstleistungen erbringt. Aber wie funktioniert Lernen eigentlich?
Um zu verstehen wie Lernen funktioniert, ist es hilfreich, wenn man zunächst einen Blick auf die Definition von Lernen wirft:
„Unter Lernen versteht man den absichtlichen (intentionales Lernen) und den beiläufigen (inzidentelles Lernen und implizites Lernen) Erwerb von neuen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Der Lernzuwachs kann sich auf geistigem, körperlichem, charakterlichem oder sozialem Gebiet ereignen. Aus lernpsychologischer Sicht wird Lernen als ein Prozess der relativ stabilen Veränderung des Verhaltens, Denkens oder Fühlens aufgrund von Erfahrung oder neu gewonnenen Einsichten und des Verständnisses (verarbeiteter Wahrnehmung der Umwelt oder Bewusstwerdung eigener Regungen) aufgefasst.“
Kurz gesagt können wir durch Lernen unser Verhalten, Denken oder auch unsere Gefühlswelt nachhaltig verändern. Interessant ist aber vor allem, dass Lernen nicht einmal absichtlich passieren muss. Schließlich gehen wir meist davon aus, dass wir Dinge aktiv lernen. Doch dass unser Erinnerungsvermögen so nicht immer funktioniert, kann jeder bestätigen, der schon einmal ein abscheuliches Lied gehört und im Anschluss doch einen Ohrwurm davon hatte. Zu lernen bedeutet deshalb nicht bloß stumpf zu „pauken“.
Das Gehirn erbringt Höchstleistungen
Aber wie und wo passiert das Lernen eigentlich? Beim Lernen spielen zwei Dinge eine entscheidende Rolle – das Gehirn und Neuronen. Beim Lernen baut das Gehirn sogenannte Neuronenpopulationen auf. Jeder Mensch wird mit etwa 100 Milliarden Neuronen geboren. Diese sind zunächst aber nur geringfügig miteinander verknüpft. Im ersten Jahr wird das Gehirn eines Neugeborenen deutlich größer; seine Masse vergrößert sich von anfangs ca. 250 g auf rund 750 g – und das nur durch Lernen!
Unser Gehirn muss jedoch nicht nur ungeheure Höchstleistungen dabei erbringen, Dinge abzuspeichern, sondern auch dabei, diese zu sortieren oder besser gesagt auszusortieren. Etwa 10 Milliarden Informationen treffen pro Sekunde nämlich auf unser Gehirn, wovon gerade einmal 20 Informationen bewusst aufgenommen und bei Bedarf weitergeleitet werden. Der Rest wird aussortiert. Aus gutem Grund: Anderenfalls wäre unser Gehirn völlig überfordert.
Kettenreaktionen im Gehirn
Arbeitet unser Gehirn, senden die Neuronen elektrische Signale an die Synapsen ab, die Schaltstellen des Gehirns. Diese Signale werden in Form von Botenstoffen weitergeleitet an weitere Neuronen. Mithilfe dieser Kettenreaktionen leitet das Gehirn Signale an die richtigen Stellen geleitet bis sie schließlich bei unseren Muskel‑, Sinnes- oder Drüsenzellen ankommen. In diesem Netzwerk ist all unser Wissen verankert.
Werden diese Kettenreaktionen regelmäßig an den gleichen Stellen ausgelöst, dann erhöht sich die Menge der ausgeschütteten Botenstoffe, es entstehen zusätzliche Rezeptoren oder aber die Kontaktflächen der Synapsen wachsen. Anders formuliert: Wenn wir etwas bestimmtes vertieft und wiederholt lernen, dann nimmt unser Gehirn automatisch ein Feintuning vor.
Man benutzt nie zweimal dasselbe Gehirn
Unser Gehirn ist somit ausgesprochen flexibel. Bei allem, was das Gehirn macht, verändert es sich zugleich. Dabei schafft es ganz neue oder aber stärkere Verknüpfungen bis man schließlich davon sprechen kann, etwas gelernt zu haben.
Daher kann man sagen: Lernen erfolgt in mehreren Schritten. Lernen wir etwas zum allerersten Mal, so fällt uns das Verarbeiten der neuen Informationen schwer. Wenn wir etwas Neues lernen, müssen wir uns nämlich besonders darauf konzentrieren und Fortschritte sehr bewusst herbeiführen. Gerade bei völlig neuen Themen fehlen einfach die notwendigen Verknüpfungen, um die aufgenommenen Informationen richtig einsortieren zu können.
Setzen wir das Gelernte allerdings fort oder wiederholen die Übung, dann bauen wir auf dem Gelernten auf, entdecken wieder Neues oder schaffen Schlussfolgerungen. Sind bereits Verknüpfungen hierzu im Gehirn angelegt, lernen wir zwar nach wie vor Neues, aber es fällt nicht mehr so schwer.
Lernen nicht zu verwechseln mit Gedächtnis
Viele setzen Lernen mit der Fähigkeit gleich, sich an etwas zu erinnern. Damit wird der Begriff des Lernens also mit dem Gedächtnis gleichgesetzt. Allerdings muss man hier unterscheiden. Beim Erinnern rufen wir Informationen ab, die zuvor gespeichert wurden. Hat man etwas gelernt, ist aber mehr passiert: Das Gehirn hat eine neue Erwartungshaltung geschaffen. Früher war das überlebenswichtig: Wer Situationen frühzeitig korrekt einschätzen konnte, hatte bessere Überlebenschancen.
Klar wird das, wenn man sich vorstellt, ein Instrument zu spielen, das man überhaupt nicht beherrscht. Gehen wir mal davon aus, wir setzen uns zum ersten Mal an ein Schlagzeug. Wir können nur schwer zuordnen, welche Bewegung notwendig ist, um einen sinnvollen Rhythmus zu erzeugen. Spielen wir jedoch erneut, haben wir bereits eine Vorstellung davon wie das Musikinstrument funktioniert und was wir tun müssen.
Auch Intelligenz kann man lernen
Auch wie intelligent wir sind, können wir durch Lernen beeinflussen. Darüber entscheiden nämlich nicht bloß unsere Erbanlagen. Sicherlich spielt dabei auch eine Rolle, mit welchem Potenzial man auf die Welt kommt. Wie man dieses Potenzial jedoch weiterentwickelt und entfaltet, ist von der individuellen Entwicklung abhängig.
Wer also regelmäßig gefordert und gefördert wird, schafft mehr Verknüpfungen in seinem Gehirn als jemand, der ohne Anreize aufwächst und wird somit intelligenter.
Fazit
Wenn wir lernen, dann entsteht nicht bloß ein Wissenszuwachs. Durch Lernen werden wir intelligenter oder können damit sogar Krankheiten wie Demenz entgegenwirken. Beim Lernen werden also nicht bloß biochemische Reaktionen losgestoßen, wir rufen damit jedes Mal eine Änderung hervor. Allein deshalb lohnt es sich, auch im fortgeschrittenen Alter noch etwas Neues zu lernen!