In Deutschland gibt es derzeit rund 43 Millionen Berufstätige. Darunter wohnen ganze 17 Prozent mehr als 25 Kilometer von ihrem Arbeitsplatz entfernt, vier Prozent sogar mehr als 50 Kilometer. Doch wie sieht das Leben eines Berufspendlers eigentlich aus? Wir haben die Schattenseiten des Pendelns unter die Lupe genommen – aber auch klare Vorteile ausfindig gemacht.
Wir Deutschen sind wahre Meister im Pendeln. Über 7 Millionen Menschen pendeln täglich zu ihrem Arbeitsplatz, 3 Millionen fahren sogar in ein anderes Bundesland. Dabei handelt es sich bei den über 7 Millionen Berufspendlern lediglich um diejenigen, die weiter als 25 Kilometer von ihrem Arbeitsplatz entfernt leben. Die tatsächliche Zahl ist folglich noch um einiges höher. Fest steht: Die Zahl der Berufspendler ist in Deutschland in den vergangenen Jahren rapide angestiegen und erreicht derzeit Rekordzahlen. Rund 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verlassen tagtäglich die Gemeinde ihres Hauptwohnsitzes, um zur Arbeit zu gelangen. Der Grund ist nicht ganz eindeutig und variiert. Einer mag sein, dass manche es vorziehen, weiter außerhalb zu wohnen. Darüber hinaus sind die Mieten in den Stadtzentren enorm gestiegen wie beispielsweise in Köln oder München, wo viele von weit außerhalb anreisen. Zudem lassen sich viele Arbeitgeber in den größeren Städten nieder, sodass eine weitere Anreise für viele unumgänglich ist, wenn sie ihren Wohnort nicht wechseln wollen.
Was mit dem weiten Weg zur Arbeit einhergeht: Noch bevor sie bei der Arbeit ankommen, verfallen viele in Stress. Die einen Pendler fahren mit dem Auto und haben mit Staus zu kämpfen, die anderen fahren mit dem Zug und leiden unter Zugverspätungen und ausgefallenen Klimaanlagen. Zusätzlich haben Berufspendler weniger Freizeit. Sie kommen später zu Hause an und müssen früher wieder schlafen gehen, da der Wecker am nächsten Morgen früher klingelt als bei den Kollegen, die in der Nähe des Arbeitsplatzes wohnen.
Ich persönlich habe beides schon erlebt: Den Arbeitsplatz um die Ecke ebenso wie einen Job, zu dem ich täglich drei Stunden Fahrt hin und zurück in Kauf genommen habe. Das bedeutete im Klartext: Um 5:20 Uhr morgens klingelte der Wecker. Ich musste um spätestens 6:00 Uhr das Haus verlassen, um die knapp 3 km mit dem Fahrrad zum Bahnhof zu fahren und dort den Zug um 6:30 Uhr zu nehmen. Darauf folgten 45 Minuten Zugfahrt und in der Zielstadt angekommen, musste ich dann nur noch ca. 10 bis 15 Minuten (15 auf hohen Schuhen) zu Fuß gehen. Das klingt stressig? Naja, einerseits war es das. Andererseits gab es auch viele Lichtblicke und kleine Rituale, die mir den Pendleralltag versüßt haben. Schauen wir uns zunächst einmal die Gründe näher an, die gegen das Pendeln vorgebracht werden.
Was spricht eigentlich gegen das Pendeln?
Die Beziehungen von Berufspendlern leiden unter der Belastung
Erika Sandow von der schwedischen Universität Umeå kam in ihrer Dissertation 2011 zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Scheidung um 40 Prozent steigt, wenn einer der Ehepartner einen Arbeitsweg von mindestens 30 Kilometern hat. Im Durchschnitt der schwedischen Bevölkerung liege das Scheidungsrisiko bei 11 Prozent, bei Pendlern steige es auf 16 Prozent.
Zudem sei die Hausarbeit in Beziehungen, in denen die Männer zum Arbeitsplatz pendeln ungleicher verteilt: Der Soziologe Heiko Rüger vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung kam laut einer europaweiten Studie seines Arbeitgebers im Jahr 2014 zu diesem Schluss. Die Hausarbeit werde zu 75 Prozent von der Frau übernommen, wenn der männliche Partner einen kurzen Arbeitsweg hat, jedoch zu 90 Prozent, wenn er zum Arbeitsplatz pendelt. Doch wie sieht das Berufsleben der Frauen eigentlich aus, die in dieser Statistik berücksichtigt werden? Sind es Frauen, die selbst voll berufstätig sind oder Frauen, die selber nicht oder nur in Teilzeit arbeiten? Denn in dem Fall handelt es sich nur um eine Aufteilung der Alltagsbelastung. Problematisch ist viel eher, dass sich die Partner in diesem Fall nur ungleich am Familienleben beteiligen können.
Hier der Tipp vom Pendlerprofi: Wer zur Arbeit pendelt, muss sich Ventile für die zusätzliche Belastung schaffen. Für mich war das die Zugfahrt nach Hause, wenn ich im Zug Musik gehört, gelesen oder auch Dinge bearbeitet habe, sodass ich keine Arbeit mit nach Hause nehmen musste. Zu Hause angekommen hatte sich der Stress dann bereits aufgelöst. Statt also von der Arbeit gestresst nach Hause zu stürmen, kann man so die Zeit nutzen, um sich erst einmal zu entspannen. Was die Hausarbeit anbelangt, so muss sich Frau eben durchsetzen, wenn sie gegen eine klassische Rollenverteilung ist. Dabei können Haushaltspläne und genaue Absprachen helfen.
Weniger Zeit für Kinder
Den deutschen Soziologen Michael Feldhaus und Johannes Huinink zufolge haben weibliche Berufspendler, die täglich mindestens eine halbe Stunde zu ihrer Arbeit pendeln müssen, seltener den Wunsch, schwanger zu werden. Bekommen Berufspendler doch Kinder, sind diese dann einem stärkeren Risiko ausgesetzt, hyperaktiv oder emotional instabil zu sein. Jianghong Li und Matthias Pollmann-Schult vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin werteten Daten aus, die seit 2008 zum gesundheitlichen und seelischen Befinden, der Arbeit und dem Einkommen von mehr als zehntausend Menschen erhoben wurden, und kamen zu diesem Ergebnis.
Werfen wir einmal einen Blick auf diese Ergebnisse. Ist es nicht völlig logisch, dass weibliche Berufspendler seltener den Wunsch hegen, Kinder zu bekommen? Und wer pendelt eigentlich zum Job? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass diejenigen Frauen einen weiteren Weg in Kauf nehmen, die ohnehin einen viel größeren Wert auf ihre Karriere als auf die Familienplanung legen und deswegen keinen Kinderwunsch entwickeln? Zudem ist es problematisch, eine direkte Kausalität zwischen einer höheren Anzahl psychischer Belastungen bei Kindern und dem Berufsleben der Eltern herzustellen. Ist es nicht denkbar, dass die Kinder sich eher abhängig davon entwickeln wie viel Zeit sich die Eltern darüber hinaus für ihre Kinder nehmen?
Dass es eine Familie und gerade auch Eltern zusätzlich belastet, neben dem Beruf auch noch eine weitere Strecke zur Arbeit zurückzulegen, ist ganz klar. Umso wichtiger ist es, die übrige Zeit zu nutzen und die Zeit mit der Familie oder mit den Liebsten nicht auch noch als zusätzliche Verpflichtung, sondern als Belohnung nach getaner Arbeit zu empfinden.
Die gesundheitliche Belastung ist stärker
Sowohl psychisch als auch physisch leiden Berufspendler häufiger unter gesundheitlichen Einschränkungen. Der Grund hierfür ist einerseits der zusätzliche Stress, dem Berufspendler ausgesetzt sind. Aber auch ein geringeres Maß an Bewegung durch das Sitzen in Bus, Bahn oder Auto trägt dazu bei. Und nicht zuletzt ist man meist so spät zu Hause, dass Sport auf der Strecke bleibt. Im schlimmsten Fall führt das dann zu Schlafmangel, Magenbeschwerden, Rückenschmerzen, häufigen Infektionskrankheiten sowie psychischen Problemen. Von 5 Prozent auf etwa 10 bis 15 Prozent sei der Anteil der psychosomatisch Erkrankten gestiegen, die den weiten Arbeitsweg mit als Grund für ihre Erkrankung angeben. Zudem gehen Berufspendler seltener zum Arzt, da sie hierfür schlichtweg seltener Zeit haben.
Alles eine Frage der Einstellung! Kein Arbeitgeber profitiert davon, wenn seine Angestellten schleichend kränker werden. Daher bietet es für niemanden einen Vorteil, wenn man darauf verzichtet, zum Arzt zu gehen. Die Lösung: Den Hausarzt nicht am Wohnort aufsuchen, sondern in der Nähe der Arbeitsstätte auswählen. So schafft man es auch als Angestellter in Vollzeit, regelmäßig zum Arzt zu gehen. Eine weitere Lösung: Statt mit dem Bus lieber mit dem Fahrrad zum Bahnhof oder besser gleich zum Arbeitgeber fahren. So sorgt man auch für Bewegung und aktiviert das Immunsystem.
Die positiven Aspekte des Pendelns
So viel zu den negativen Aspekten des Pendelns. Zugegeben, es kann sehr stressig sein, wenn ein Zug zu spät kommt oder ausfällt oder die öffentlichen Verkehrsmittel gar ganz streiken. Aber gibt es nicht auch positive Aspekte des Pendelns? Hier sind meine persönlichen Pros:
Ausgiebig frühstücken!
Als ich noch zur Arbeit gependelt bin, hatte der Stress meist ein Ende, sobald ich pünktlich am Bahnhof angekommen war (okay, es sei denn, der Zug kam nicht pünktlich). Ich habe mir jeden Morgen einen Kaffee geholt, habe am Gleis noch Zeit für eine Zigarette zum Kaffee gehabt und im Zug dann erst einmal gefrühstückt und Zeitung gelesen. Dafür hatte ich dann 45 Minuten Zeit, zu der ich gewissermaßen gezwungen war, da ich diese Zeit schließlich ruhig in der Bahn verbringen musste, um beim Arbeitsplatz anzukommen. Entspannung pur!
Seit ich nicht mehr pendeln muss, kann ich zwar dafür länger schlafen, meine morgendliche Routine sieht aber meist hektischer aus. Das, was ich früher im Zug erledigt habe, muss ich jetzt vorher erledigen. Deshalb schaffe ich es manchmal gar nicht zu frühstücken oder meinen Kaffee in Ruhe zu trinken.
Klarer Nachteil: Was so gemütlich ist, hat natürlich einen Preis. Man gibt dann viel mehr Geld für Verpflegung aus und man muss morgens früher aufstehen.
Steuerliche Vorteile
Das beste daran, zum Job zu pendeln, ist ganz sicher die Pendlerpauschale. Diese hat sich bei mir buchstäblich bezahlt gemacht. Wer dagegen teure Zugfahrten in Kauf nehmen muss, um zur Arbeit zu kommen, könnte dies gegebenenfalls einmal beim Arbeitgeber ansprechen. Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, ein Jobticket zu erwerben?
Contra: Leider fließt ein Teil des Geldes, das man durch die Steuererklärung zurückerhält, wieder in die zusätzliche Verpflegung, für die man unterwegs Geld ausgibt und natürlich in Spritkosten oder ein Zugticket. Aber dann besteht zumindest die Möglichkeit, sich zu Hause bereits mit einer Brotdose und einer Thermoskanne voll Kaffee auszustatten und an dieser Stelle zu sparen.
Blendend aussehen!
Als ich noch mit dem Zug zur Arbeit gefahren bin, hatte ich reichlich Zeit, um mich zu schminken. Meistens kam ich etwas abgehetzt und ungeschminkt am Gleis an, stieg in meine Zug-Wunderkugel und stieg als gut geschminktes Mitglied der Gesellschaft wieder aus dem Zug aus. Jetzt muss ich diese Zeit auch noch in meinen Tagesablauf vor der Fahrt zur Arbeit integrieren, das heißt im Grunde habe ich noch weniger Zeit vor der Arbeit (oder müsste wiederum früher aufstehen).
Das geht natürlich nur, wenn der Zug einigermaßen leer ist und man nicht zwischen anderen Zugfahrern eingeklemmt im Gang steht. Je nach dem, wohin man fährt, bleibt man davon aber verschont.
Günstigere Mieten dank der Berufspendler
Man mag es kaum glauben, aber den Berufspendlern haben wir es zu verdanken, dass die Mieten in den Städten nicht noch weiter angestiegen sind als ohnehin schon. Das hat eine Studie der Postbank mit dem Titel „Wohnatlas 2016 – Leben in der Stadt“ ergeben. Weil viele Menschen bereit sind zu pendeln, ziehen sie auch in Orte, die an die größeren Städte grenzen. Würden dagegen alle Berufspendler in die Stadtzentren ziehen, wäre die Nachfrage nach Wohnraum dort noch größer. Das hätte zur Folge, dass die Mieten weiter ansteigen würden. Und das gilt längst nicht nur für Städte, in denen die Mieten bereits hoch sind, sondern auch für weniger begehrte Stadtzentren. In Dresden und Leipzig wäre beispielsweise mit Preisanstiegen zwischen 16 und 20 Prozent zu rechnen, zöge die Hälfte der Pendler dorthin (vgl. Die Welt: Die nervenden Pendler sind besser als ihr Ruf).
Pünktlicher Feierabend
Seit ich nicht mehr mit dem Zug zur Arbeit und zurück fahre, fällt es mir schwerer, pünktlich Feierabend zu machen. Okay, auch früher fiel es mir schon schwer, pünktlich zu gehen und ich habe deswegen so manchen Zug verpasst. Aber früher gab es immerhin den Druck, dass ich einen Zug erreichen muss. Dieser Druck fällt jetzt ganz plötzlich weg. Also überziehe ich häufiger versehentlich um ein paar Minuten hier und da, weil ich jederzeit auf mein Fahrrad steigen kann, ganz ohne Zeitnot.
Fazit
Jetzt kann man natürlich sagen: Wenn dir das Pendeln so gut gefallen hat, warum machst du es nicht weiterhin? Fest steht: Ohne Bus und Bahn lebt es sich schon wesentlich entspannter und man hat merklich mehr Freizeit (und Schlaf). Dennoch: In Zukunft schließe ich es definitiv nicht aus, meinen Weg zur Arbeit wieder mit dem Zug zurückzulegen.