Berufliche Neuorientierung bei gesundheitlichen Einschränkungen

Arbeitswelt
Kompass auf Felsen

Vie­le Men­schen ste­hen vor dem Pro­blem, dass sie ihren bis­he­ri­gen Job nicht mehr aus­üben kön­nen. Der Kör­per oder auch die Psy­che spie­len ein­fach nicht mehr mit. Dann sehen sich vie­le mit der Fra­ge kon­fron­tiert: Was kann ich jetzt über­haupt noch machen? Zeit für eine beruf­li­che Neuorientierung.

Gera­de mit zuneh­men­dem Alter haben die meis­ten Men­schen das Pro­blem, unter den ein oder ande­ren gesund­heit­li­chen Pro­ble­men zu lei­den. Die­se kön­nen sich zum Teil mas­siv auf die Leis­tungs­fä­hig­keit im Job aus­wir­ken oder bestimm­te Tätig­kei­ten ganz ausschließen.

Doch auch jun­ge Men­schen sind nicht vor gesund­heit­li­chen Ein­schrän­kun­gen gefeit. Wie die Tech­ni­ker Kran­ken­kas­se in einer Pres­se­mit­tei­lung unlängst bekannt gab, feh­len Erwerbs­tä­ti­ge zwi­schen 15 und 19 Jah­ren mit 2,2 Krank­mel­dun­gen pro Kopf und pro Jahr sogar dop­pelt so häu­fig wie die Alters­grup­pe über 40. Hier grei­fen dann weni­ger kör­per­li­che als psy­chi­sche Beschwer­den. Rund 35 Pro­zent der 18 bis 29jährigen füh­len sich nach eige­nen Anga­ben bereits gestresst und aus­ge­brannt. (vgl. Tech­ni­ker Kran­ken­kas­se: Gesund­heits­re­port Fehl­zei­ten (PDF, 1,4 MB)) Was pas­siert nun, wenn Kör­per und Psy­che end­gül­tig strei­ken? Gibt es dann noch eine beruf­li­che Zukunft?

Vie­le Unter­neh­men bean­spru­chen zunächst ein­mal für sich, Inklu­si­on zu betrei­ben und Arbeit­neh­mer mit Ein­schrän­kun­gen bei der Aus­wahl des Per­so­nals zu berück­sich­ti­gen. Fragt man dage­gen auf der Arbeit­neh­mer­sei­te nach, so wer­den hier offen­bar nur gerin­ge Bemü­hun­gen fest­ge­stellt: Rund 86 Pro­zent der Deut­schen sehen mas­si­ven Han­dels­be­darf bei der Inklu­si­on chro­nisch Erkrankter.

Der Wie­der­ein­stieg in den Beruf mit Erkran­kung ist dabei eine Grat­wan­de­rung. Das beginnt bei der unan­ge­neh­men Fra­ge, wel­che Berufs­fel­der über­haupt noch in Fra­ge kom­men – und endet bei der Fra­ge­stel­lung, ob man beim poten­zi­el­len Arbeit­ge­ber dann offen mit sei­ner Erkran­kung umge­hen soll. Dabei pro­fi­tie­ren bei der Inklu­si­on von Men­schen mit Ein­schrän­kun­gen durch­aus bei­de Sei­ten. Denn was Mit­ar­bei­ter mit gesund­heit­li­chen Ein­schrän­kun­gen mit­brin­gen, sind dafür häu­fig inno­va­ti­ve Denk­an­sät­ze, weil sie im All­tag auf Ein­schrän­kun­gen und Wider­stän­de sto­ßen, die gesun­den Arbeit­neh­mern nicht ver­traut sind. So kann ein Mit­ar­bei­ter mit gesund­heit­li­chen Ein­schrän­kun­gen sein Han­di­cap durch Krea­ti­vi­tät und Enga­ge­ment wie­der wett­ma­chen, weil er auch im All­tag häu­fi­ger nach krea­ti­ven Lösun­gen Aus­schau hal­ten muss.

Damit Sie sich also nicht gleich demo­ti­vie­ren las­sen, haben wir nach Tipps gesucht wie Sie sich der Her­aus­for­de­rung des Wie­der­ein­stiegs auch mit Han­di­cap stel­len können:

6 Tipps für die berufliche Neuorientierung

1. Nicht den Mut verlieren!

Was zunächst ganz pro­fan und wie einer der übli­chen Rat­schlä­ge klingt, trifft meis­tens den Kern des Pro­blems. Vie­len Arbeit­neh­mern fällt eine Umori­en­tie­rung schwer, selbst dann, wenn sie nicht beson­ders zufrie­den mit ihrer bis­he­ri­gen Tätig­keit waren. Denn die meis­ten Men­schen haben (auch wenn sie sich des­sen nicht immer bewusst sind) auch heu­te noch eine Bezie­hung zu ihrem Job wie zu einem Ehe­part­ner. Der erlern­te Beruf wird als Ver­bin­dung fürs Leben betrach­tet bzw. es wird davon aus­ge­gan­gen, dass man in einem Berufs­feld bis zum Ren­ten­an­tritt ver­blei­ben kann. Das ist auch nach­voll­zieh­bar, schließ­lich hat man unter Umstän­den Jah­re oder Jahr­zehn­te dafür auf­ge­wen­det, sich im Hin­blick auf ein bestimm­tes Berufs­feld aus­bil­den zu las­sen und ver­tief­te Kennt­nis­se in der Pra­xis zu erarbeiten.

Der Grund, war­um man sich von die­ser Vor­stel­lung so schwer lösen kann, ist nicht zuletzt fol­gen­der: Man sieht in sei­nem Job zu einem gewis­sen Teil immer auch eine Rea­li­sie­rung der eige­nen Stär­ken und Vor­lie­ben. Aus die­sem Grund muss man mit einer beruf­li­chen Neu­ori­en­tie­rung ein Stück weit auch immer die Idee und Vor­stel­lung der eige­nen Per­son hin­ter­fra­gen. Das fällt vie­len Men­schen schwer und ist häu­fig mit gro­ßen Ängs­ten, Selbst­zwei­feln und auch Trau­rig­keit ver­bun­den. Wich­tig ist dann, sich nicht zu iso­lie­ren, son­dern sich gera­de jetzt auf ein sozia­les Netz­werk stüt­zen zu können.

2. Die Prioritäten ändern

Eines haben Men­schen mit gesund­heit­li­chen Ein­schrän­kun­gen ihrer gesun­den Kon­kur­renz in jedem Fall vor­aus: Letz­te­re machen sich wenig Gedan­ken über ihre Gesund­heit, weil sie es ganz ein­fach nicht müs­sen. Hat man dage­gen ein Han­di­cap, fin­det man sich gezwun­ge­ner­ma­ßen in der Situa­ti­on wie­der, sei­ne Prio­ri­tä­ten zu hin­ter­fra­gen – und das kön­nen Sie für sich nut­zen! Denn für eine beruf­li­che Neu­ori­en­tie­rung muss man sich knall­hart der Wahr­heit stel­len. Unter Umstän­den müs­sen Sie in einem ande­ren Beruf qua­si bei null anfan­gen. Das ist alles ande­re als leicht. Man muss sich damit anfreun­den, auch in hohem Alter Abstri­che beim Gehalt machen zu müs­sen, weil die Berufs­er­fah­rung im Ziel­be­ruf fehlt oder man zunächst noch ein­mal ganz neue Fach­kennt­nis­se erwer­ben muss. Nicht zuletzt haben Sie in Ihrem bis­he­ri­gen Berufs­le­ben über einen Zeit­raum von vie­len Jah­ren ers­te Kar­rie­rehür­den überwunden.

Daher soll­ten Sie den Stel­len­wert Ihres Beru­fes mög­li­cher­wei­se auch ein­mal hin­ter­fra­gen. Natür­lich soll­te Ihre neue Tätig­keit Ihnen zusa­gen, aber viel­leicht hat in Zukunft auch ein ganz ande­rer Lebens­be­reich für Sie Prio­ri­tät? Schrei­ben Sie sich rea­lis­ti­sche Zie­le auf, die Sie sich – pri­vat wie beruf­lich – set­zen möch­ten. Ist bei­spiels­wei­se ein Hob­by viel zu kurz gekom­men in den letz­ten Jah­ren? Möch­ten Sie eigent­lich lie­ber Zeit mit der Fami­lie ver­brin­gen? Dann sehen Sie Ihren Beruf doch als Mög­lich­keit, die­se Zie­le finan­zi­ell zu realisieren.

3. Die eigenen Ansprüche hinterfragen

Für gewöhn­lich ver­bes­sert sich das Gehalt im Lau­fe der Jah­re. Wagt man einen beruf­li­chen Neu­an­fang, pas­siert aber eben das: Man fängt beruf­lich wie­der ganz von vor­ne an. Ähn­lich sieht dann auch meist die Bezah­lung aus – für man­che, die einst bes­ser ver­dient haben, ist das ein Schock. Das führt nicht sel­ten dazu, dass sich die Ein­stel­lung ein­schleicht, dass man für ein sol­ches Gehalt nicht arbei­ten gehen möch­te. Der neue Job ist dabei so viel mehr als eine blo­ße Zahl – näm­lich auch eine Chan­ce. Auch im neu­en Job kön­nen Sie sich wei­ter­ent­wi­ckeln. Daher las­sen Sie sich von einem zunächst ernüch­tern­den Gehalt nicht schre­cken. Der neue Job mag Sie zwar an den Anfang ihrer Kar­rie­re zurück kata­pul­tie­ren, bie­tet aber auch Luft nach oben. Wenn Sie dage­gen nichts unter­neh­men, haben Sie auch kei­ne beruf­li­che Perspektive!

4. Über den Tellerrand hinausblicken

Da es vie­len Men­schen schwer­fällt, sich von ihrer eigent­li­chen Tätig­keit zu lösen, ver­lie­ren sie auch den Blick dafür, was sie dar­über hin­aus noch alles drauf haben.

Neh­men Sie sich also die Zeit, um sich noch ein­mal selbst zu durch­leuch­ten. Ver­su­chen Sie dabei ehr­lich zu sich zu sein und schrei­ben Sie alles auf eine Lis­te, was Sie kön­nen. Nun schrei­ben Sie eine Lis­te mit allen Din­gen, die Ihnen in einem Job wich­tig sind und gefal­len (z. B. „Kon­takt mit Kun­den“). Was passt dabei zuein­an­der, was viel­leicht eher nicht? Wor­in haben Sie bereits tat­säch­lich Erfah­rung gesam­melt in Ihren bis­he­ri­gen beruf­li­chen Tätig­kei­ten? Es kann außer­dem hel­fen, sich auch per­sön­li­che Schwä­chen ein­zu­ge­ste­hen: Was hat in frü­he­ren Tätig­kei­ten viel­leicht nicht so gut geklappt und wor­an mag das gele­gen haben?

Trau­en Sie sich – auch in fort­ge­schrit­te­nem Alter – ruhig auch, ganz neue Wege zu beschrei­ten. Sie wären ger­ne als Infor­ma­ti­ker tätig? Dann über­le­gen Sie, wel­che Schrit­te nötig wären, um die­ses Ziel zu errei­chen. Über­le­gen Sie auch wie Sie viel­leicht ein ähn­li­ches Berufs­ziel mit über­schnei­den­den Tätig­kei­ten errei­chen kön­nen. Viel­leicht kön­nen Sie so Ihr Inter­es­se ander­wei­tig beruf­lich realisieren.

5. Bilden Sie sich weiter!

Wenn Sie her­aus­ge­fun­den haben, was Sie beruf­lich ger­ne machen möch­ten und könn­ten, gilt es, den Weg dort­hin zu pla­nen. Ist viel­leicht ein Auf­fri­schungs­kurs nötig oder sogar eine Umschu­lung? Auch Kur­se an der Volks­hoch­schu­le bie­ten die Mög­lich­keit, sich auch pri­vat wei­ter­zu­bil­den und Neu­es aus­zu­pro­bie­ren – auch für den klei­nen Geld­beu­tel. Selbst eine betrieb­li­che Aus­bil­dung ist in fort­ge­schrit­te­nem Alter noch mög­lich. Hier kann man sich ein Bei­spiel an der ältes­ten Aus­zu­bil­den­den des Lan­des neh­men, die im ver­gan­ge­nen Jahr mit 55 Jah­ren noch eine Aus­bil­dung zur Gärt­ne­rin begann. Es ist also nie zu spät für einen Kar­rie­re­wech­sel, wenn man die Hoff­nung nicht aufgibt!

Soll­ten Sie hier­bei Unter­stüt­zung benö­ti­gen wie etwa einen Bil­dungs­gut­schein, soll­ten Sie die­sen Wunsch unbe­dingt bei Ihrem zustän­di­gen Sach­be­ar­bei­ter äußern, die­sen Wunsch und des­sen Not­wen­dig­keit jedoch unbe­dingt sinn­voll begrün­den können.

6. Positiv denken!

Steht schließ­lich ein Vor­stel­lungs­ge­spräch an, soll­ten Sie fol­gen­der­ma­ßen auftreten:

Authen­tisch: Sie kön­nen durch­aus auch offen mit Ihrer Erkran­kung umge­hen, aber Sie soll­ten die­se nicht aus­schließ­lich nega­tiv dar­stel­len. Das heißt kon­kret, dass Sie sagen könn­ten: „Durch mein Rücken­lei­den konn­te ich mei­nem bis­he­ri­gen Beruf als Lager­hel­fer nicht mehr nach­ge­hen, dafür bin ich aber auf ande­re Wei­se sehr belast­bar, weil ich unter Stress nicht die Ner­ven ver­lie­re und ein star­kes Durch­hal­te­ver­mö­gen habe.“ Wenn Sie trotz Krank­heit kaum Fehl­zei­ten zu ver­bu­chen hat­ten, kön­nen Sie so bei­spiels­wei­se bele­gen, dass Sie so schnell nichts umhaut!

Selbst­si­cher: Klar, das ist in solch einer Situa­ti­on leich­ter gesagt als getan. Nichts­des­to­trotz: Stel­len Sie sich vor, jemand säße vor Ihnen und zwei­fel­te schon selbst dar­an, ob er wirk­lich die geeig­ne­te Beset­zung für eine Stel­le sei. Und nun stel­len Sie sich einen selbst­si­che­ren Kan­di­da­ten vor, der genau weiß, was er will und wert ist. Für wen wür­den Sie sich wohl ent­schei­den? Las­sen Sie sich daher auch nicht von Aus­sa­gen aus der Fas­sung brin­gen wie etwa „Bis­lang haben Sie ja aus­schließ­lich in ande­ren Beru­fen gear­bei­tet. Sie haben also über­haupt kei­ne Erfah­rung in die­ser Posi­ti­on.“ Mit sol­chen Aus­sa­gen will man Sie aus der Reser­ve locken. Jetzt dür­fen Sie nicht nach­ge­ben oder gar zustim­men, son­dern soll­ten zum Bei­spiel sagen „Es stimmt, dass ich aus dem Bereich XY kom­me, aber es gibt den­noch vie­le Über­schnei­dun­gen bei den Tätig­kei­ten wie zum Bei­spiel ...“ Sol­che Ant­wor­ten kom­men einem aber sel­ten spon­tan in den Sinn, daher soll­ten Sie eines unbe­dingt sein:

Gut vor­be­rei­tet: Jetzt müs­sen Sie zei­gen, dass Ihr Kar­rie­re­wech­sel kei­ne Not­lö­sung ist, son­dern das Ergeb­nis reif­li­cher Über­le­gung und Vor­be­rei­tung. Daher soll­ten sie beim Vor­stel­lungs­ge­spräch Ihre Bewer­bungs­un­ter­la­gen in gedruck­ter Form dabei haben (auch auf eine gute Druck­qua­li­tät in Far­be ach­ten), die Aus­schrei­bung mit Mar­kie­run­gen hier­zu (falls Fra­gen offen sind), Kar­teikärt­chen mit Anmer­kun­gen und Fra­gen, die Sie stel­len möch­ten sowie einen Aus­druck der Fir­men­web­site mit Noti­zen und natür­lich ihre Zeug­nis­se.

Fazit

Ein beruf­li­cher Neu­start ist alles ande­re als leicht. Die­ser erfor­dert nicht nur, dass man sich selbst und sei­nen bis­he­ri­gen Wer­de­gang noch ein­mal grund­le­gend in Fra­ge stellt. Man muss auch den Mut auf­brin­gen, etwas Neu­es zu wagen. Wer sich davon aber nicht ein­schüch­tern lässt, der hat eine ech­te Chan­ce auf eine ganz neue beruf­li­che Lauf­bahn. Wenn Ihnen doch ein­mal Zwei­fel kom­men soll­ten: Den­ken Sie an die ältes­te Aus­zu­bil­den­de des Landes!

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